2 – Hangover und Flüsse

Durch und nass

Es ist Sonntag und so manche Bar hat schon zu. Nicht, weil es so spät ist (nach 23 Uhr), sondern weil (meiner Meinung nach) die Itaewon erst wieder im Kommen/am Sich-Erholen ist. Böse Zungen sagen, die Itaewon stirbt, ich denke da anders. Es gab immer ein Kommen-und-Gehen. Richard hatte sein Baby Guinness heute auch zu, morgen auch, andere schließen Mo/Di. Das wird schon wieder. Die schaffen das!

Heute vor einer Woche ging es also bei mir los – Mann, was eine Action schon in der kurzen Zeit! Und so geht es weiter. Ich habe nämlich meine Freunde in Jamsil kontaktiert und dahin werde ich am Samstag erstmal ziehen, bevor ich meine Wohnung beziehen kann. Am Dienstag inspiziert die Schule das Objekt und macht dann hoffentlich alles klar – ich kann es kaum erwarten, das OK zu bekommen!

Heute hatte ich versucht, die Wohnung wiederzufinden. Was ohne Daten schwer ist. Durch das Übertragen von KakaoTalk und WhatsApp auf Jaehans Handy sind einige Chats verlorengegangen, weil die Backups so lange dauerten und die neusten Chats nicht darin enthalten waren. Hatte nur grobe Anhaltspunkte und ich habe sie auch nicht gefunden. Scott, den Makler, hatte ich zwar deswegen angeschrieben, als ich in Huam Dong ankam, aber er antwortete erst gg. 22 Uhr. Also werde ich es morgen nochmal versuchen. Abends treffe ich dann Andreas E., einen „guten, alten“ Freund, damals Schülervater, aber eigentlich nicht. Mega-Organist und Tastenprofi. Und IT kann er auch! Von ihm hörte ich schon so manch wundervolle Mär aus vergangener Zeit. Warum ich das erwähne? Weil Teile dieser Geschichten dazu geführt haben, dass ich sagte: „Jetzt erst recht!“ (mich wieder in Seoul zu bewerben). Seine Sichtweise von außerhalb der Schule war mega interessant und ein weiteres Teil im Puzzlespiel der Vergangenheitsbewältigungsanamnese. Mal sehen, was wir morgen zu Futtern und zu Quatschen haben!

„Versacken“ – die Gefahr ist sehr groß hier. Also, ein Besuch auf der Itaewon sollte immer ein Ende haben. Zu oft (meist im Urlaub) hab ich es aber erlebt, dass dem nicht so war. Am Freitag war nach dem Schluss im Baby Guinness noch nicht Schluss – ein Abstecher zum „Shenanigans“, wo ja am Wochenende zu war, ich einen anderen Freund gesucht hatte und einzig Willy da war, der mir die Kontaktdaten des anderen gab. Diesmal war der dann da, erinnerte sich an mich (ich hatte seinen Namen schon längst wieder vergessen) und lud mich ein. Zum Dart spielen. Verlierer bezahlt. Die ersten 2 Runden gingen an mich, aber in der dritten war ich lange in Führung und schlug Willy in einem epischen Endkampf im Cricket mit Double Twenty, Bulls Eye und 17! Das war gegen 4 Uhr morgens. Es war noch dunkel, die Nacht noch laut, noch viele Menschen auf der Itaewon, noch ein Bier aus dem 7-Eleven, der eine Mitspielertyp machte russische Mädchen an und dann waren die weg und er laberte mich voll. Ich kann auch labern, aber das war laberüberlegenlaber! Er wusste alles, nennen wir ihn „R“, wusste alles über jeden, über jedes Thema, egal, was man anfing.

Da kam mir die Idee, ihn mal zu „fact checken“, also mal herauszufinden, ob da Substanz oder nur leeres Gefasel war. Thema Filme, Lieblingsschauspieler und deren Filme. Er kannte ja alle. (auf Englisch, das Folgende)
Ich: „Also ich liebe ja Jeff Bridges!“
Er: „Ja, großartiger Schauspieler!“
Ich: „Er hat mich ja in jedem Film überzeugt, nur in ‚August Rush‘ fand ich ihn richtig mies! Das passte gar nicht zu dem, was man von ihm kannte!“
Er: „Mann, das war echt nichts, der hat sein Können nie wirklich ausgeschöpft, da hat er echt bessere Performances gehabt! Und sein Laber laber laber, laber laber laber laberererer…“ – Da hatte ich schon abgeschaltet, der Typ war durch bei mir.

Jeff Bridges spielt nicht in „August Rush“.

Er verpisste sich (wortwörtlich, in irgendeiner Ecke) und ich nahm Reißaus. Erst 1-2 Schritte rückwärts, dann um die Ecke und ins nächstmögliche Kellergeschoss rein!
Es war dunkel, ein tiefer Raum, recht dunkle Wände mit zu wenigen, schwachen Glühlampen an den Decken. Und es roch alles alt. Und doch ward ich sofort empfangen, an einen Tisch, ein runder mit Aluplatte, gebeten und schon standen ein Bier und Odengsuppe auf dem Tisch! Das war genau richtig für 4:30 morgens. Ich hatte nicht vergessen, Fotos zu machen (der Laden hieß tatsächlich „Soju“), und so fand ich gestern Abend den Keller wieder, diesmal „bewusster“. Der Chef wusste sofort, was ich beim letzten Mal hatte, ich brauchte gar nicht zu bestellen, einfach nur „ja“ („dae“) sagen. Geheimtipp: Die Odengsuppe kostete zwar 23.000Won, aber das „saeng mektschu“ – Bier vom Fass – war mit 5000 Won billiger als das Flaschenbier! 😀

Am nächsten Mittag („Morgen“ kann man nicht sagen)  wachte ich mit Klamotten auf dem Bett wieder auf – so viel zum Thema „Versacken“! Ich kann jetzt, wo ich das hier schreibe, aber mit Stolz sagen, dass das ne Ausnahme war. Alles unter Kontrolle! Trotz des Urlaubs.

Treffen mit Jaehan war angesagt. Ich kam zu spät (siehe oben), aber noch in seiner Mittagspause. Wir waren essen (Kamjatang heißt nicht nur „Kartoffelsuppe“ sondern auch „Schweinerückenmarkssuppe“, hab ich da gelernt). Er gab mir 2 Ärmel gegen die Sonne (pall toshi) und sein altes Handy, was im Grunde der Nachfolger meines Note 9 ist. Das Note 9, so sagte mir YouTube, sei aber das beste Handy ever gewesen (Kopfhörer- und Mikroeingang, Speicherkarte mgl., 2 Simkarten mgl., Fingerabdrucksensor da, wo er hin muss – auf die Rückseite, …).  Und da ist das Note 10 nicht wirklich ein Upgrade. Ein ganz neues Video verriet mir aber, dass das Galaxy S23 Ultra jetzt DAS Handy ist, was mit Ehre und Stolz das Note 9 ersetzen darf. Das ist mein Ziel mit meinem noch ausstehenden eigenen, abzuschließenden Handyvertrag. Jaehans ist ein monatlich kündbarer Billigvertrag für 2,80 Euro im Monat. Mit 7GB (von der die Hälfte schon weg ist, aber wir haben ja auch noch Juli 😀 ).

Nun  hatte ich also die Ärmel und das Handy und eins davon wurde schnell nass. Die Ärmel. Nass gemacht im Cheongyecheon* Fluss, an dem ich nun entlang ging und mein erstes „just walking 360“-Video (Link zum Kanal rechts und ganz unten) filmte. Weil es 35-36°C war, kaum Schatten und ich ja noch „hung over“ war. und nichts anderes zu tun hatte. Viele Pfadfinder überall, Briten, Australier, Chilenen. Das Pfadfindertreffen beginnt wohl nächste Woche.

*Der Cheongyeocheon-Fluss wurde freigelegt, um den ursprünglichen Verlauf wieder herzustellen. Ich kann mich erinnern, dass es damals hieß, das solle passieren und die Hochstraße auf Stelzen (Cheongye-ro), die an dieser Stelle existierte, solle abgerissen werden. Das war 2003, ich hatte einen kleinen gelben 50ccm-Scooter, mit dem man den Berg, auf dem ich wohnte, kaum hinaufkam nachmittags, ohne „Choke“, aber das hatte ich mir nicht nehmen lassen! Einmal hier drüber fahren, bevor es weg ist! Das Gleiche dann später mit dem Daelim Freewing 250 (oder war es schon der Burgman 650) auf der Straße, die jetzt eine Fußgängerbrücke vom Namdaemun zur Seoul Station ist. Was hat es gebracht? Nun, Freude für den Moment. Ist jetzt nix wert, aber damals schon. Gibt es gute Dokus drüber auf YouTube. Macht Spaß, anzusehen(, wenn man PRIME-YT hat)!

Ganz nebenbei erwähnt ist Jaehans Handy nicht nur Hotspot, sondern hat auch eine eigene Telefonnummer. Das ist also mein Kontakt für die nächste (Übergangs-) Zeit. Guter Mann! Mein „Chrischan-Ersatz“!

Auf dem Rückweg gab es noch einen Abstecher zur Nagwon San Ga, der Nagwon Arcade, wie sie auf Englisch heißt, der überdachten Straße mit Läden oben drauf oder anders gesagt: Dem Musikladen, unter dem eine Straße verläuft. In 2-3 Etagen gibt es dort Musikläden, Instrumente, Technik, alles, was man sich vorstellen kann. Diesmal nix gekauft(!), aber schon ein kleines Akkordeon ins Auge gefasst… Mal sehen nach den ersten Gehältern…

Taxi, ins Hotel, Mittagsruhe. Um 18 Uhr dann Treffen mit Grace, sehr nett, aber nur 1 Wohnung zum Zeigen. Und die megaklein. Nur 1 Küche, ein anderes Zimmer. Kein Platz für Koffer oder Netflix. War schnell zu Ende die Besichtigung. Ich hoffe so, dass es mit Huam Dong klappt… Ließ mich absetzen an meinem alten „tangulship“ (Lieblingsrestaurant), dem, wo das Enkelkind der Familie um die Zeit wie Ronja geboren war, wo ich IMMER zu Besuch war nach meiner Ausreise, wo Warti und ich sogar zu Chuseok, wo sie eigentlich geschlossen hatten, Essen bekamen. Natürlich wussten sie, dass ich wieder „Ojingeo yangpa pego“ bestellen würde und so war es auch! Die Oma schien sehr traurig oder sehr müde zu sein. Habe ihr Bilder von „Ranja“, wie sie es immer aussprach, gezeigt, da war sie für kurze Zeit wieder die Alte. So oft werde ich nicht mehr herkommen, lebe ja dann in einer anderen Nachbarschaft, aber das eine oder andere Mal wird es noch vorkommen. Das Restaurant liegt ja dann fast auf dem Weg nach Hause. Seltsamerweise hat die Inflation dort noch nicht so zugeschlagen, mein Essen kostete 10.000 Won…

T-Money. Das wichtigste Instrument für den öffentlichen Personennahverkehr. Meine alte Karte funktionierte nicht mehr, besorgte eine neue. Mit 40 Euro aufgeladen. Damit darf ich jetzt Busfahren, U-Bahnfahren, sogar Taxis akzeptieren diese. Für all das hab ich sie schon benutzt.

Nicht allerdings für die Wanderung zum Fluss. Die Mädels schrieben, sie wollten sich am Han-Fluss treffen. Ich fragte Christian R., Freund und Kollege von damals und demnächst mein Chef, was er als Kenner empfehlen würde. Er meinte, die Banpo-Brücke wäre ein guter Spot, da könne man unten auf die Südseite vom Fluss wandern, wäre im Schatten und dort könne man dann verschiedene Dinge erleben, je nachdem, was dort gerade abliefe. Das war ein guter Tipp, ich bin die 4km zu Fuß gelaufen, kannte den Weg noch.
Am Fluss unten war es frischer, nicht so heiß oder schwül und auf der anderen Seite erwartete mich ein modernes Konstrukt auf dem Wasser mit einem Schild „Beer Garden“. Schnell war klar, dass Kay nicht am Ufer auf ner Treppe sitzen würde, sondern mit einem (teuren) Kaltgetränk auf einem Sitzsack, die Kollegen erwartend. Sie kamen und fanden die Location echt cool. Ich auch, nicht nur wegen des 600ml-Hoegarden Glases (ich kam mir vor wie im „Herr der Ringe“-Film, als die Hobbits die „richtigen“ Humpen entdeckten!).
Die Wasserspiele, die wir uns dann in der Dämmerung später von der anderen Seite auch noch anschauten, waren toll anzusehen. Mit Musik, Publikum etc. Was wir nicht bedacht hatten, war, dass die Show, die alle halbe Stunde für 20 min läuft, uns nur 10‘ Zeit lässt zur Brückenüberquerung! Und die schafft man nicht in 10 min! Wir sind alle furchtbar nass geworden und haben das jetzt zum Erzählen! Klasse! Wir gingen noch nicht direkt zur Itaewon (den Weg, den ich kam und wo nix ist), sondern schlenderten noch am Fluss entlang, wo wir annähernd trocken wurden. Nicht ganz, allerdings, was ich dann im Restaurant, was in der nächsten Stichstraße hoch zur Itaewon befand, fast schon schmerzlich erfahren musste. Es war so kalt dort, dass ich mir einen Beutel auf das durchnässte Kopftuch binden musste, damit das Gehirn keinen Frostschaden nimmt!
Die Suppen wärmten und taten gut. Was für eine tolle gemeinsame Anfangszeit! Das hätte ich mir damals auch gewünscht. Aber damals war ich der einzige Neue, musste mit allem und allen klarkommen (die anderen nur mit mir) und das war nicht einfach. Ich musste mir alles selbst erarbeiten, entdecken, ohne Hilfe, it was too much to handle alone. Vielleicht dadurch hab ich nie Koreanisch gelernt, weil da nie Input kam, es zu tun. Ist jetzt ganz anders, die 3 die neu kommen, sind alle schon so viel weiter, das treibt mich moralisch an. Das hätte ich nicht erwartet vor diesem neuen Abschnitt in meinem Leben!

 

Hab versucht, meine Wohnung (hoffentlich) zu finden. Hab sie nicht gefunden. Aber sie ist mein! Habe Buslinien ausprobiert, bin sie so weit gefahren, bis es falsch war. Aber morgen… hmm, eigentlich brauche ich nicht mehr hin. Scott hat mittlerweile geantwortet und die Apps haben mir alle verraten, was ich wissen muss. Welchen Bus, welche Umstiege, welche Zeiten – alles klar durch Apps. Es lebe das Internet! Das gab es damals zwar auch schon, aber – wann kam das iPhone raus? Genau! 2007! Und selbst das konnte sowas damals noch nicht. Ich bin im richtigen Land zur richtigen Zeit, diesmal.

Morgen schlafe ich erstmal aus. Es ist 2:34 Uhr, ohne Kneipenmusik, ohne Shots, ohne viel Bier – einfach ein Hotelzimmer im Hamilton Hotel, vor bzw. hinter dem langsam die Musik verklingt. Das ist gut so, denn – schlafen…

kg310723

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